Schlegel und Partner in der FAZ

23.05.2011
Schlegel und Partner in der FAZ
Kostbarer Plastikmüll. Kampf um alte Flaschen von Bernd Freytag

Der hohe Bedarf für Kunststoffe treibt den Preis für PET-Flaschen. Heimische Verwerter sorgen sich schon um den Nachschub.
LUDWIGSHAFEN, 23. Mai 2011

Der rasante Anstieg der Kunststoffpreise hat die Nachfrage nach gebrauchten PET-Flaschen in ungeahnte Höhen getrieben. Noch nie war der Plastik-Müll so teuer. Allein binnen Jahresfrist haben sich die Preise in Europa nach Berechnungen des Marktforschungshauses Schlegel und Partner glattweg verfünffacht. Aus alten Flaschen ist ein umkämpfter Rohstoff geworden. Die weiterverarbeitende Industrie ist alarmiert: "Um die Produktion aufrecht zu halten und die Nachfrage zu befriedigen, sind wir gezwungen, Rohmaterial zu jedem Preis einzukaufen", schreibt die Freudenberg-Tochtergesellschaft Politex, der weltgrößte Hersteller von Vliesstoffen aus Polyester. PET-Flaschen sind knapp, und sie sind teuer. Größere Posten werden teilweise gar nicht mehr verkauft: Sie werden versteigert.

Für viele der kleinen Recycler, die die Flaschen schreddern und die so gewonnenen "Flakes" weiterverkaufen, spitzt sich die Situation dramatisch zu. Weil die Preise für neuen Kunststoff erstmals seit Monaten wieder fallen, haben sie eine Schwierigkeit. Viele Lieferverträge wurden vor Monaten vereinbart, deshalb kostet recyceltes PET zurzeit in Einzelfällen sogar mehr als neues. Hält dieser Zustand länger an, geht den Verarbeitern die Luft aus. Um Geld zu verdienen, dürfte recyceltes Material höchstens 80 Prozent des Neupreises kosten, sonst lohne sich die Wiederverwertung in Deutschland nicht mehr, heißt es aus der Branche.

Ob die Preise für wiederverwertetes PET allerdings sinken und die Preise für neues Material unterschreiten, ist fraglich, denn die Nachfrage nach den Flakes nimmt international weiter rasant zu. Der Boom hat viele Gründe, und das globale Vordringen der PET-Flaschen ist nur einer von vielen. Hinzu kommt der stark gestiegene Preis für Baumwolle, auf den viele Textilhersteller in Asien mit einer höheren Kunststofffaser-Quote reagiert haben. Global betrachtet wird ohnehin nur ein kleiner Teil der Flaschen wieder zur Flasche. Der Großteil wird zu Fasern verarbeitet und wandert in Kleidung und technische Textilien.

Die alten Flaschen enden aber auch in Autos, auf Flachdächern, in etlichen Vliesstoffen und in Pharma- und Lebensmittelverpackungen. Nahezu täglich werden neue Anwendungsmöglichkeiten gefunden. Dass die großen Kunststoffhersteller in der Krise ihre Kapazitäten heruntergefahren haben, hat viele Kunden erfinderisch gemacht - die Zahl neuer Produktionsanlagen, die recycelte Rohstoffe verarbeiten können, wächst. Während das Angebot bei PET-Flaschen relativ konstant geblieben ist, sind neue Nachfrager vor allem aus der Lebensmittelindustrie auf den Markt gekommen, die bereit sind, einen höheren Preis für Recyling-PET zu bezahlen.

Am teuersten sind dabei nach wie vor die durchsichtigen Flaschen, nur die werden wieder zu anderen Flaschen gemacht. Für eine Tonne entsprechend vorsortierter Behälter erhält der Handel aktuell rund 800 Euro je Tonne. Gereinigt, geschreddert und weiterverarbeitet kostet die Tonne Flakes dann 1400 Euro. Blaue und grüne Flaschen sind billiger, bunte Flakes am billigsten - sie wandern häufig in die Produktion von Autoteppichen.

Der Nachfragesog aus Asien dürfte noch zunehmen, wenn der Euro fällt. Dann werden noch mehr Flaschen in der Faserproduktion landen. Dann könnte der "Flasche-zu-Flasche-Kreislauf" nach Einschätzung von Stephan Bockmühl, Geschäftsführer von Veolia Umweltservice in Hamburg, ernsthaft gefährdet werden. In Asien werden die Flaschen nämlich meist nur zu günstigen Energie- und Arbeitskosten geschreddert. Um das PET aber wieder für Lebensmittelzwecke, also die Flaschenproduktion, nutzen zu können, braucht man einen dritten Produktionsschritt, die Extrusion. Auf dieses - teure - Verfahren haben sich die meisten heimischen Anbieter spezialisiert. Wenn die Preise nicht sinken, lohnt sich das nicht mehr. "Lebensmitteltaugliches Recycling dauert länger und ist teurer, dafür bleibt das Material im Kreislauf und geht nicht verloren", sagt Bockmühl.

Ein lukratives Zusatzgeschäft ist das "Urban Mining", also die Suche nach Rohstoffen im Wohlstandsmüll, für den Handel. Der Lebensmitteldiscounter Lidl hat sich nach Angaben aus der Branche sogar ein eigenes Recycling-Unternehmen gekauft, um billige Flaschen für die Hausmarke zu produzieren und so von seiner Nähe zu den Rohstoffquellen zu profitieren. So weit gehen die wenigsten, aber als Zwischenhändler verdienen Aldi & Co mittlerweile prächtig an dem System. Vor sieben Jahren versuchten die Discounter noch mit einer Verfassungsklage das Pfand zu stoppen, heute machen sie damit gute Geschäfte.

Der Interessenverband Petcore geht davon aus, dass in Europa jährlich 1,4 Millionen Tonnen Flaschen eingesammelt werden. Das wäre rund die Hälfte der Produktion. Vor allem in Osteuropa bleibt das Recyclingpotential ungenutzt. Die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen nennt für Deutschland ein Produktionsvolumen von 527 000 Tonnen, davon würden mehr als 90 Prozent wieder im Wertstoffkreislauf landen. Zum Vergleich: Europaweit liegt die Recyclingquote bei 50 Prozent, vor allem in Osteuropa bleibt das Potential ungenutzt. In China, wo es landesweit kein einheitliches Rücknahmesystem gibt, gilt die Wiederverwertungsquote dennoch als am höchsten - dort organisiert sich der Markt selbst. Der Bundesverband Sekundärrohstoffe schätzt, dass bis zu 30 Prozent der deutschen PET-Flaschen in China landen. Der Anteil war schon größer: Die hohen Preise haben die Kauflust der Chinesen getrübt.

In den nächsten Wochen dürfte sich die Situation wenigstens kurzfristig etwas entspannen. Die Nachfrage geht zwar nicht zurück, aber das Angebot steigt. Im Sommer wird mehr getrunken, dann gibt es auch wieder mehr Flaschen.

Diesen Artikel in der FAZ lesen

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv