Rohstoffmärkte senden Schockwellen – eröffnen aber auch Chancen für Alternativen

22.09.2022
Rohstoffmärkte senden Schockwellen – eröffnen aber auch Chancen für Alternativen
Beschleunigte Transformation hin zu alternativen Herstellungsprozessen als Lösung?

Der Ukraine-Konflikt hat erhebliche Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten zur Folge. Die vor allem in Europa rapide steigenden Energiekosten treffen nicht nur energieintensive, rohstoffnahe Betriebe, sondern letztlich fast alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungsketten.
Über Jahre ist es auf den Rohstoffmärkten relativ ruhig gewesen: Nach den Wogen, die die Finanzkrise 2008 ausgelöst hatte, pendelte sich relativ zügig ein überwiegendes Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ein – unterbrochen höchstens vorrübergehend durch natürliche Ereignisse, Streiks oder technische Probleme bei marktbeherrschenden Anbietern.
Erste größere Wogen zeigten sich dann während der COVID-Krise, die die internationalen Fracht- und Wertschöpfungsketten zum ersten Mal seit Jahrzehnten durcheinanderwirbelten. In der Folge stiegen die Kosten durch die Bank für die meisten wichtigen Rohstoffe. Allerdings blieben die ganz großen Verwerfungen aus, nicht zuletzt auch getrieben von der Aussicht, dass COVID-19 ein lang anhaltendes, aber letztlich temporäres Ereignis darstellen wird.

Seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts und der damit einhergehenden Energiekrise vor allem in Europa ist nun aber vieles nochmals anders. Die in astronomische Höhen steigenden Preise und die zu erwartenden Einschränkungen der Verfügbarkeit vor allem von Erdgas führen dazu, dass derzeit wahre Schockwellen durch die industriellen Wertschöpfungsketten gesendet werden. Und dies betrifft mitnichten nur Industrien, die als sehr energieintensiv gelten (etwa Aluminiumhütten), sondern zunehmend auch weiter entferntere Unternehmen z.B. aus der Lebensmittelindustrie. Jetzt wird uns wieder einmal bewusst, wie tief unsere Wertschöpfungsketten nicht nur international, sondern auch regional verzahnt sind.

Ein Paradebeispiel stellt der momentane Mangel an CO2 in der Lebensmittelindustrie dar, ein für sehr viele Herstellprozesse unverzichtbares Produkt, das zum Beispiel in der Getränkeindustrie zur Spülung und Befüllung von Flaschen, in der Fleischwirtschaft als Betäubungsgas für Schweine, zur Unterstützung der Reifeprozesse von Gemüse in Gewächshäusern oder als Schutzatmosphäre in Lebensmittelverpackungen eingesetzt wird. Zukünftig könnte CO2 eine noch größere Rolle spielen, da es zum Beispiel in großen Mengen für die Herstellung von E-Fuels benötigt wird.

Der aktuelle CO2-Mangel in Europa mit astronomischen hohen Preisen und Lieferengpässen wurde indirekt ausgelöst durch die Verschärfung der Gaskrise. Kohlendioxid entsteht hierzulande nämlich als Nebenprodukt bei der Herstellung von Ammoniak in den Düngemittelbetrieben. Und diese haben die Produktion von Düngemitteln inzwischen in Europa um ca. 70% gesenkt.
In Folge müssen immer mehr Lebensmittelunternehmen ihre Produktion einschränken. Da Gas in Europa voraussichtlich zumindest in den kommenden 3-5 Jahren deutlich teurer bleiben wird als z.B. in den USA oder in MENA, ist mit einer Produktionsverlagerung von mineralischem Dünger in außereuropäische Regionen zu rechnen, was die Aufrechterhaltung der bisherigen CO2-Wertschöpfungsketten auch langfristig infrage stellen wird.

Zeiten des Mangels bieten allerdings auch immer Chancen für Unternehmen, die sich auf diese Lücken einstellen und sehr zeitnah adäquate Lösungen anbieten können. Zum Beispiel laufen zurzeit in Zementwerken mehrere Pilotprojekte, Kohendioxid abzuscheiden und als Rohstoff für die Lebensmittelindustrie zu nutzen. Als klimafreundliche Quellen kommen etwa Biomasse-Heizkraftwerke in Frage, bei denen nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie durch die Biomasse zuvor auch gebunden wurde. Und natürlich bietet auch das Direct-Air-Capture Verfahren Möglichkeiten, CO2 aus der Luft abzuscheiden.

Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Beispiele für Transformationsprozesse, die durch die aktuelle Rohstoffkrise ausgelöst und beschleunigt werden. Um die Chancen für alternative Produkte oder Herstellungsprozesse zu bewerten, ist es allerdings erforderlich, zu erkennen, ob Verfügbarkeitseinschränkungen kurzfristig oder dauerhaft auftreten werden, in welchem Stadium der Marktreife sich alternative Technologien befinden, inwieweit die Herstellungskosten wettbewerbsfähig sind und wie praktikabel neue Lösungen sind bzw. wie gut sie sich in bestehende Wertschöpfungsketten integrieren lassen.

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