Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen der Online-Marktforschung (erschienen in: Acquisa 09/2005)

21.09.2005
Dank der zunehmenden Verbreitung des Internets setzen viele Unternehmen auf die vermeintlich kostengünstige Onlinemarktforschung. Sie ist ein probates Mittel, um schnell und unkompliziert Meinungen zu erheben. Doch sie hat ihre Grenzen.
Wer beim Last-Minute-Spezialisten L’TUR, Baden-Baden, online eine Reise bucht, muss Urlaubsträume nicht mehr in rein formale Angaben wie Zielflughafen und Reisezeit übersetzen. Eine neue »Motivorientierte persönliche Suche« (MOPS) erfragt die Wünsche der Kunden und schlägt dann passende Reisen vor. Die schlaue Suche berücksichtigt dabei, ob die Urlauber in spe sich »nur erholen«, »Sport treiben« oder »Kultur erleben« wollen. Auch Angaben zum Leben fließen in die Vorschläge ein: Handelt es sich um eine Familie oder um einen Single? Was im Reisebüro lange Beratungsgespräche und Verfügbarkeitsabfragen voraussetzt, ist mit wenigen Maus-Klicks erledigt.

Das Münchner Marktforschungsinstitut Vocatus hat die Urlaubs-Suchmaschine gemeinsam mit dem Reiseanbieter entwickelt. Der Clou: Sind die Urlauber wieder heimgekehrt, finden sie eine E-Mail im Posteingang. Der Link führt sie wieder zu MOPS. Diesmal wird die Zufriedenheit der Rückkehrer abgefragt. Bei künftigen Reisewünschen werden die Erfahrungen und Wünsche berücksichtigt.

Das Beispiel zeigt, welche neuen Möglichkeiten das Internet der Marktforschung heute eröffnet. Dabei spielt es den Geschwindigkeitsvorsprung und die Interaktivität voll aus. Das Thema ist den Kinderschuhen mittlerweile entwachsen. Bei den Mitgliedern des Arbeitskreises der deutschen Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM) machten Onlineumfragen im vergangenen Jahr einen Anteil von 16 Prozent aus. Im Jahr 2000 — dem Jahr des Dot.com-Booms — betrug dieser Wert nur ein Prozent.

Software für Einzelgänger
Üblicherweise erhalten potenzielle Teilnehmer einer Onlineumfrage eine E-Mail mit einem Link, der zu einer Befragungs-Website führt. Der Befragungsbogen wird dann mit Hilfe von Maus und Tastatur ausgefüllt. Der Vorteil gegenüber der klassischen schriftlichen Erhebung und der Telefonumfrage liegt vor allem in der Schnelligkeit bei großen Stichproben. Innerhalb kürzester Zeit können sehr viele Personen gleichzeitig interviewt werden. Das spart Telefon- oder Portokosten, vor allem bei internationalen Studien. Lediglich die Befragungs-Seite muss gehostet werden.

Das einfache Handling der Antworten ist ein weiterer wichtiger Geschwindigkeits- und Kostenpluspunkt. Denn die Daten liegen elektronisch vor und lassen sich sofort auswerten. Damit ist der Aufwand derart gesunken, dass auch kleinere Unternehmen heutzutage die Möglichkeit haben, einfache Befragungen in Eigenregie umzusetzen. Dabei können sie auf diverse Softwarelösungen zurückgreifen, mit denen sich nicht nur die Fragebögen erstellen lassen: Auch die Auswertung ist so möglich und häufig verfügen die Programme über eine Schnittstelle zum CRM-System. Einige Softwareunternehmen bieten sogar das Hosting der Lösung an. Der Vorteil: Internes Kompetenzgerangel zwischen IT, Marktforschung und Marketing wird umgangen und gleichzeitig ist die Sicherheit der Daten gewährleistet.

»Technisch wäre sicher jedes Unternehmen in der Lage, eine kleinere Marktforschung via Internet mit eigenen Adressen durchzuführen. Aber es muss auch immer die Frage nach dem methodischen Know-how gestellt werden«, so Marcus Dreyer, Geschäftsführer des Marktforschungsinstitutes Skopos in Hürth. Und er bricht noch eine Lanze für die Institute: Seiner Erfahrung nach sei es häufig so, dass einem neutralen Ergebnis von außen mehr Beachtung geschenkt werde als einer Untersuchung der hauseigenen Marktforschung.

Omnibus-Umfragen
Die unternehmenseigenen Marktforscher sind zudem schnell überfordert, wenn keine Adressen für eine Umfrage vorliegen. Hier sind die Markforschungsinstitute stark: Sie hegen und pflegen ihre großen Panels - Datenbanken, in denen mehrere tausend Befragungswillige verwaltet werden. Vor allem für B-to-C-Unternehmen sind solche Panel-Umfragen interessant. Die Anbieter sammeln die Daten der Mitglieder und strukturieren Personen und Haushalte. So kann für fast jede Anfrage schnell die entsprechende Zielgruppe ausgewählt und zur Onlinebefragung eingeladen werden. Wer keine komplette Umfrage starten, sondern lediglich wenige Fragen schnell beantwortet haben möchte, für den bieten die Marktforscher Mehrthemen-Questionaires an (»Omnibus-Umfragen«). An einer solchen Erhebungsaktion beteiligen sich mehrere Auftraggeber. Jeder kann »einsteigen« und eigene Punkte abfragen lassen. Eine einzelne geschlossene Frage an 1.000 Teilnehmer ist — je nach Thema — bereits für ein paar hundert Euro möglich. Echte Online-Business-Panels sind wegen der meist spitzen Zielgruppen seltener. Im B-to-B-Bereich dominieren daher »klassische« Umfragen via Internet mit bekannten Adressen, meist zur Kundenzufriedenheit oder vor einer Produkteinführung. Pharmakonzerne befragen Ärzte und Apotheker, Autohersteller ihre Händler und Corporate Publisher ihre Leser.

Bei speziellen Aufgabenstellungen stoßen Onlinemethoden ebenfalls an ihre Grenzen: Für Meinungserhebungen von Businesskunden spielen oft die Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Befragten eine große Rolle, beispielsweise im Rahmen der Produktentwicklung. Daher sind häufig qualitative Befragungen nötig, in Form von Einzelinterviews oder in kleineren Fokusgruppen. Onlinemarktforschung kann dies nicht leisten. Zwar werden vereinzelt noch Onlinefokusgruppen angeboten, aber die haben sich als Flop erwiesen. Sie sind lediglich für moralische oder unangenehme Themen geeignet und heute nur von marginaler Bedeutung.

Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit: Für Kundenzufriedenheitsanalysen müssen im B-to-B-Umfeld oft mehrere Personen in einem anderen Unternehmen zu einem Produkt befragt werden. Diese im Internet zu rekrutieren, ist schwierig — meist ist es nur telefonisch möglich.

Der Mix macht‘s
»Unsere Erfahrung zeigt, dass im B-to-B-Bereich eine Onlinebefragung oft kein geeignetes Mittel ist, um verwertbare qualitative Informationen zu erhalten. Höchstens wenn sie mit einer telefonischen Befragung gekoppelt wird. Sollte es sich um technische Details und Hintergründe drehen, funktioniert eine reine Onlinebefragung nicht mehr«, erklärt Dr. Katja Flascha, Geschäftsführerin von Schlegel und Partner. Das in Weinheim ansässige Unternehmen ist auf Marktforschung und Unternehmensberatung im B-to-B-Bereich spezialisiert. Lediglich für wiederkehrende Abfragen und kurze, unkomplizierte Fragestellungen seien Onlinebefragungen geeignet, erklärt Fr. Dr. Flascha. Bei komplexen Produkten empfiehlt sie persönliche und telefonische Gespräche.

Doch wenn die Wirtschaft am Stock geht, wollen Unternehmen zunächst nur das eine: Kosten sparen. Einige Verfechter der Onlinemarktforschung meinen, dass B-to-B-Meinungserhebungen via Web bis zu 50 Prozent günstiger sein können als Telefonumfragen (manchmal). Auch an Schlegel und Partner trat ein Unternehmen mit dem Wunsch heran, aus Kostengründen eine reine Onlinebefragung durchzuführen. Die Marktforscher empfahlen jedoch, dies mit einer telefonischen Befragung zu koppeln. So wurden 500 Kunden per E-Mail kontaktiert, um an der Onlinebefragung teilzunehmen. Satte 16 Prozent der Einladungen kamen sofort zurück — allerdings als unzustellbar wegen falscher Adressen. Drei Wochen später lag die Rücklaufquote bei knapp zehn Prozent. Weitere 35 A-Kunden wurden telefonisch befragt. 90 Prozent von ihnen waren zu einem Interview bereit. Somit wurden 15 Prozent aller Kunden erfasst. Mit der Onlinebefragung alleine wären es nur acht Prozent gewesen. Das zeigt: Ob für Marketing- oder Marktforschungszwecke — wer bei der Datenpflege spart, spart an der falschen Stelle.